Wissenschaftliche Klimaziele – Glaubwürdigkeit in Gefahr?

Science Based Target Inititative (SBTi) Dashboard Export

Die Science Based Targets Initiative (SBTi) zählt heute zu den anerkanntesten Validierern eines wissenschaftlichen Klimaziels für Unternehmen. Sie hat kürzlich über 200 Unternehmen den Status eines Committments entzogen, darunter Namen wie Microsoft, Procter & Gamble, Unilever and Walmart mit zusammen 4 Billionen Marktkapitalisierung (1). Was bedeutet dies – aus Sicht der Kommunikation?

Grund für das Downgrading ist eine Policy der SBTi, den Status zu entziehen, wenn Unternehmen nach ihrem Commitment nicht innerhalb von 24 Monaten entsprechende Targets einreichen und validiert bekommen. Targets sind gemäß der Definition der SBTi Klimatransitiionspfade im Einklang mit dem Pariser Klimaziel. Sie sind abgestuft nach 1,5°C-, deutlich unter 2°C- oder 2°C-Kompatibilität. Diese Pfade sehen absolute Emissionsreduzierungen ausgehend von einem Referenzpunkt, der Baseline, vor.

Die Unternehmen betonen, dass sie weiterhin an ihren ehrgeizigen Plänen festhalten. Welche kommunikative Wirkung hat das alles?

Zunächst einmal nehme ich erstaunlich wenig Resonanz wahr. Dann folgt der Vorwurf des Greenwashings, dass diese Ziele ohnehin sinnlos seinen, oder Kritik am Vorgehen der SBTi. In diesem Fall speziell und in Bezug auf Klimaverpflichtungen im Allgemeinen. (2)

Beim den deutschen Unternehmen fallen Namen wie Allianz Investment, Drees & Sommer, Lufthansa, s. Oliver, Viessmann, Zentis, ZF (Auszug).

Tatsächlich stehen aktuell ca. 88% der weltweiten Emissionen und 92% des GDP unter Net Zero Pledges (3). Wie qualitativ diese Claims untermauert sind, zeigt der Abgleich dieser Net Zero Pledges mit den Kriterien der UNFCCC Race to Zero campaign durch zerotracker.net (4): 4%. Diese sehen vor:

  • Spezifische Netto-Null-Verpflichtung festlegen (bis 2050 für Unternehmen in OECD-Ländern)
  • Alle Treibhausgase einbeziehen (im Falle von Unternehmen alle Scopes)
  • Die Bedingungen für den Einsatz von Kompensationsmaßnahmen klären
  • Einen Plan veröffentlichen, wie sie ihre Zwischen- und langfristigen Ziele erreichen wollen
  • Eine Sofortmaßnahme zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen durchführen
  • Jährliche Fortschrittsberichte sowohl über die Erreichung der Ziele als auch über die ergriffenen Maßnahmen veröffentlichen

„Mehrere neuere Analysen heben die fehlende Erfassung von Scope-3-Emissionen und die unregulierte Verwendung von Kompensationen als Hauptprobleme hervor, die die Integrität der Netto-Null-Ziele von Unternehmen untergraben (Day et al., 2023b), weshalb sie ab Juni 2022 Teil der Startkriterien der Race to Zero-Kampagne wurden (Race to Zero, 2022a).“

(zerotracker.net (3))

Eine Herausforderung der SBTi-Kriterien ist, dass sie nach meinem Verständnis eine fixe Emissionsreduktionslinie vorsehen. Damit kann zum einen nicht auf wirtschaftliche Dynamiken in einem Multikrisen-Szenario wie zur Zeit, zum anderen auf Wachstum reagiert werden. Schlauer ist die Arbeit mit einem Emissionsbudget in Relation zur Wirtschaftsleistung, mit dem man den Zeitpunkt von Maßnahmen wirtschaftlicher gestalten kann. Es ist aber auch Common Sense, dass es zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich schwieriger ist, Fortschritte nachzuholen, als sie früher zu realisieren.

Entwickeln sich Net Zero Claims und eine entsprechend offene Klima-Kommunikation zunehmend risikoreich und zu einem Bumerang?

Aus meiner Perspektive nicht, wenn man folgende Strategien berücksichtigt:

  1. Verständnis herstellen: Nachhaltigkeitsmanagement und Kommunikation sollten intensiv zusammenarbeiten und ein Verständnis dafür entwickeln, auf welchen Fakten eine Kommunikation aufgebaut wird und welche Risiken bestehen.
  2. Ein solides transitorisches Narrativ aufbauen. Vereinfacht gesagt: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin, warum, wie und was tun wir, um unser Geschäftsmodell unabhängig von klimaschädlichen Emissionen zu machen. Im Unterschied zu einem grünen Narrativ, das vorgibt weiter zu sein, als man ist (z.B. „klimaneutral“ auf der Basis von Kompensationen).
  3. Ambitionen sind nicht falsch, sie müssen weiter hoch sein: Ohne hochgesteckte Ziele kein Fortschritt. Sie sind notwendig, um Momentum aufzubauen und auch Accountability innerhalb des Unternehmens.
  4. Herausforderungen auf dem Weg offenlegen und offensiv kommunizieren: Ein Unternehmen, dass authentisch über Erfolge und Fails erzählt, hat wesentlich bessere Chancen, langfristig Vertrauen aufzubauen. Geschichten des Gelingens statt flacher Success Storys und grünem Einheitsbrei.
  5. No more time for freestyle: In gute Kommunikation investieren und davor in gute Standards, Prozesse und Daten. Beweisführung sicherstellen.
  6. Das Schaffen positiver Werte (im immateriellen wie im materiellen Sinne) greifbar machen und in Bezug setzen zum Status quo.
  7. Engagement: Stakeholdern zeigen, wie sie Teil der Lösung sein können.

All das erfordert Mut und soll die reale Gefahr von Greenwashing-Vorwürfen nicht kleinreden. Die Green Claims Directive und andere Gesetzgebungen wie die ECGT-Richtlinie sind scharfe Schwerter. Kritische Stakeholder werden nicht zögern, sie in die Hand zu nehmen. Klimaklagen nehmen zu und aus dem financial Bereich wissen wir, wie teuer eine Falschaussage sein kann (z.B. das jüngste Urteil gegen Apple wegen einer möglichen Falschaussage von CEO Tim Cook zur Umsatzprognose mit einer möglichen Strafzahlung von 490 Millionen Dollar).

Kleiner Exkurs zum Thema Herausforderungen: Ich hatte vor kurzem auf das Buch „Wie die Welt wirklich funktioniert“ von Vaclav Smil (5) hingewiesen. Es zeigt auf, wie hochgradig unsere Industriegesellschaften von fossilen Rohstoffen abhängig sind und wie schwer der Weg der Entkopplung ist. Nur um eines seiner Beispiele zu nennen: Ohne die Versorgung der Landwirtschaft mit Düngern auf der Basis von Ammoniak, gewonnen aus Erdgas, wäre sie kaum in der Lage, mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung zu ernähren. Die Umstellung auf eine fossilfreie Landwirtschaft ist möglich, der Weg dorthin aber extrem steinig, auch ohne Diskussion über Agrardiesel.

Welchen Sinn machen 1,5°C-Klimaziele, wenn wir das Ziel womöglich sowieso nicht mehr erreichen können?

Man hört immer wieder das Argument, es mache keinen Sinn, sich 1,5°C-Ziele zu setzen, wenn sich die Erderhitzung bereits 1,5°C nähert und die Ziele kaum erreichbar scheinen. Ich sehe dies kommunikativ vollkommen anders, denn je höher die Temperatur-Realität ist, desto besser sind Unternehmen positioniert, die nachweislich in ihrer Klimawirkung darunter liegen. Vielleicht sind sie irgendwann der Safe Harbor für Konsument*innen, Fachkräfte und Investoren. Akzeptiert, geliebt, zukunftsfähig.

Fazit

Unternehmen und Marken, die ein solides Narrativ und eine glaubwürdige, transparente Kommunikation zu ihrer Haltung, ihren Plänen und Herausforderungen aufgebaut haben, können mit Backlashes wie den Removals der SBTi konstruktiv und vertrauensbildend umgehen. Wer dies schlampig, unbedacht oder mit tatsächlichem Greenwashing-Intent angeht, setzt sich hohen kommunikativen Risiken aus. In einer ehrlichen Reflexion liegen große Chancen, denn sie werden im besten Falle dazu führen, dass Unternehmen ihre Anstrengungen intensivieren, entsprechende Pläne aufsetzen, Geld in die richtige Richtung fließen lassen und somit echter, wertstiftender Wandel passiert.

Climate Communication matters.

Klima ist nicht nur eines von vielen Themen im Nachhaltig­keits­spektrum: Es ist zentral, existentiell. Es lohnt sich, ihr den Stellenwert beizumessen, den sie verdient.


Wer eine gute Klima-Kommunikation angehen will, sich fragt, wo das Unternehmen aktuell steht und wo es mögliche Ansatzpunkte gibt, denen sei der Klima-Kommunikations-Check ans Herz gelegt. Er ist übrigens bestens dafür geeignet, an Punkt 1 anzusetzen, nämlich Nachhaltigkeitsmanagement und Kommunikation an einen Tisch zu bringen.


Quellen

(1) https://sciencebasedtargets.org/target-dashboard

(2) https://www.greenbiz.com/article/microsoft-pg-unilever-and-walmart-among-239-companies-miss-net-zero-deadline

(3) https://zerotracker.net/analysis/net-zero-stocktake-2023)

(4) https://racetozero.unfccc.int/system/criteria/?_gl=1*11uqqv3*_ga*MTUzMTExMTU3NC4xNzEwNjgxNDIx*_ga_7ZZWT14N79*MTcxMDY4MTQyMS4xLjAuMTcxMDY4MTQzMS4wLjAuMA..

(5) https://www.chbeck.de/smil-welt-wirklich-funktioniert/product/34659705